Tage am Küchentisch *5

Geschichten aus dem ersten Lockdown

Noch ein Tag

Am nächsten Tag ist es wärmer. Und endlich tut sich etwas im Marillenbaum. Eine Spatzenfrau ist da. Da sitzt sie: klein, braun und interessiert. Sie zeigt ihr Interesse, indem sie sich duckt und mit den Flügeln vibriert (Das habe ich recherchiert). Er tschilpt noch zwei, drei Mal, dann sitzt er neben ihr, und – tatsächlich – im nächsten Moment auf ihr. Er hält die Position flatternd für einen Moment, dann lässt er sich auf einem anderen Ast nieder.
War das schon alles, oder nur das Vorspiel? Die beiden sitzen aufgeplustert im Geäst und wirken recht zufrieden. Die Kulisse: rosarote Blüten vor blauem Himmel.
Ein Romantiker ist er schon. Ein Draufgänger aber auch. Zumindest meint er es ernst. Denn (auch recherchiert) kommt es vor, dass Spatzenmännchen ein Weibchen im Rudel verfolgen und bedrängen. Unser Spatz hier ist ein Gentleman. Und ein Häuschen hat er auch. Liebes Spatzenmädel, ich denke, du hast es nicht schlecht erwischt mit ihm.

Ian stört der Spatz nicht.
Aber die eine Amsel im Garten, die treibt ihn beinahe in den Wahnsinn.
„Die Stones-Amsel“, sagt er.
Ich frage, was er damit meint.
„Weil sie immer dasselbe singt,“ sagt er. „Mothers Little Helpers von den Stones.“
„Hörst dus ?,“ Er legt den Kopf schief. „Kids are diff-er-ent to-day … Hörst du das nicht?“
Eine Amsel höre ich schon, aber keine Stones. Ich weiß auch nicht mehr, wie sich Mothers Little Helpers anhört. Ich mache den Fehler und höre mir den Song auf Youtube an. Dann weiß ich es wieder. Ian hat recht. Die Amsel singt die Stones. Und zwar ständig.
„Danke,“ sage ich später zu ihm. „Danke für den Ohrwurm.“
„Bei ihr musst du dich bedanken“, sagt er und deutet Richtung Zwetschgenbaum.
„Bei ihm“, sage ich.
Ich habe recherchiert. Die Amsel ist ein Männchen auf Brautschau.

Heute Nacht ist strenger Frost angesagt. Ich mache mir Sorgen um die Marillen. Um die dicken Magnolienknospen und um die Kirschen. Der Spatz sitzt wieder am Häuschen und tschilpt mit vollem Körpereinsatz. Bei jedem seiner Rufe schüttelt es ihn.
„Was ist mit deiner Freundin?“, frage ich halblaut. Er flüchtet, kaum, dass er mich entdeckt hat.
Später erzähle ich Ian, dass der Spatz offensichtlich wieder auf der Suche ist.
Was wohl mit der kleinen Spatzenfrau passiert sein mag. Vielleicht war er doch zu forsch.
„Oder sie ist von einer Katze gefressen worden“, sagt Ian.
„Du bist furchtbar“, sage ich.

Kids are different today …“, singt Ian. „Schon wieder!“
„LIFE ist different today“, korrigiere ich. „So geht der Text.“
„KIDS“, sagt er.
Wir sind uns wieder einmal nicht einig, aber zu faul, um nachzuschauen.
Was auch immer die Amsel singt, eines stimmt:
Life is different today.
Und Helpers könnte ich auch bald brauchen.

05.05.2021

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