Grabkerzengeflüster

Man fährt zum Friedhof, um den Vater zu besuchen.
Man will eine Kerze anzünden, hat aber keine dabei.
Man freut sich über den Grabkerzenautomat am Friedhofseingang.
Man wirft eine Münze ein und will eine Kerze herunter drehen. Der Drehgriff steckt.
Man ist sich sicher, genug eingeworfen zu haben und nicht dort eingeworfen zu haben,
wo „Fach leer, nichts einwerfen“ steht.
Man versucht es wieder. Der Drehgriff steckt.
Man sucht nach einem Geldrückgabeknopf. Man findet keinen.
Man findet ein Schild: „Aus technischen Gründen keine Geldrückgabe möglich.“
Man regt sich auf.
Man sucht nach einem Hinweis, wohin man sich im Störungsfall wenden kann.
Man findet nichts.
Man meint, dass sich so etwas nicht gehört, nicht an diesem Ort und nicht bei diesem Produkt.
Man möchte den Automaten treten.
Man besinnt sich. Auf einem Friedhof randaliert man nicht.
Man tritt ein wenig gegen die Automatenseite. Keine Kerze, keine Münze.
Man tritt fester. Keine Kerze, keine Münze.
Man sieht ein, dass es keine Kerze mehr geben wird.
Man hört den Wind zwischen den Grabsteinen.
Man sieht die Grabkerzen flackern.
Man stellt fest, dass es windstill ist.
Man will es sich nicht vorstellen, stellt sich aber dann doch vor,
dass es die Toten sind, die man hört, und nicht der Wind.
Dass sie kichern in ihren Särgen bis die Grabkerzen flackern. 
Man will den Vater lieber ein anderes Mal besuchen.
Und schaut, dass man weiterkommt.

06.03.2021

Stichwort: ,