Jackie rennt
DUM – Literaturzeitschrift, 2012
„Halten S’ ihn!“
Da schreit jemand durch die Gasse, richtig verzweifelt. Die zwei, drei Leut, die unterwegs sind bleiben stehen und schauen. Ober mir macht jemand ein Fenster auf. Ich komm gerade vom Einkaufen, an jeder Hand ein Sackerl, ein schweres. Hinter mir rauscht der Gürtel, auf den die Gasse rausgeht, die eine ruhige Gasse wär, wenn der Gürtel nicht wär.
„Halten S’ den …“
Von einer Frau kommt das. Da hinten am Eck steht sie und fuchtelt. Ich denk gleich an einen Dieb, den ich aufhalten soll, einen Handtascherldieb. Ich frag mich, was mich das angehen soll und mach es wie die anderen, bleib stehen und schau mir das Ganze erst einmal an.
„… den Hund auf!“
Dann seh ich den kleinen Hund, der wie ein durchgedrehter Bartwisch auf mich zufetzt, auf mich oder auf die Autos hinter mir, und der sicher nicht weiß, dass man bei Rot nicht über die Straße darf. Und dann erkenn ich ihn auch. Eigentlich erkenn ich sie zuerst. An der Stimme, weil sie schon wieder schreit. Obwohl ich sie noch nie schreien gehört hab, die Frau Bettina, die mir immer die Haare schneidet in ihrem kleinen Salon in der Kaiserstraße. Die Frau Bettina mit ihrem dummen Hundsviech, dem Jackie, der immer unterm Wagerl mit dem Friseurwerkzeug liegt und mich die ganze Zeit anknurrt. Wenn sie nicht so gut schneiden könnt, ich tät nie wieder hingehen. Allein wegen dem Viech.
„Jackiiiiiee!“
An zwei Leuten ist er vorbei. Über eine Quergasse ist er auch schon drüber. Links und rechts hat er nicht geschaut, das hab ich gesehen. Und jetzt bin ich die letzte Hoffnung. Die letzte Hoffnung vorm Gürtel. Ich stell die Sackerln hin und geh in die Knie. Das kann ja keine große Gschicht sein so ein Viecherl zu fangen, der ist doch keine drei Kilo schwer und wenn der beißt, dann kriegt er sowieso einen Tritt ins Gnack.
„Am Halsband …“
Gleich ist er bei mir. Die grauen Zotten, die sonst immer mit einem Mascherl zusammengebunden sind fliegen herum, die Zunge hängt ihm raus. Die Augen hat er weit aufgerissen, die Leine zieht er nach. So ist das also, ausgerissen ist er. Und jetzt rennt er, der Jackie. Glücklich schaut er aus, sehr glücklich sogar. Ich weiß gar nicht, ob er ein Manderl oder ein Weiberl ist, ein Weiberl denk ich mir – wegen dem Mascherl. Aber vielleicht tu ich ihm Unrecht, und das Mascherl gehört sich für einen Friseurhund halt so.
„… nehmens ihn am Halsband!“
Ich bild mir ein, dass er langsamer wird und greif schon hin. Aber dann denk ich mir, einen glücklichen Hund soll man nicht aufhalten. Und dann denk ich etwas ganz anderes, nämlich, dass die Frau Bettina eine gute Friseurin ist und ohne ihr Viech die perfekte Friseurin wär. Ich steh auf, mach einen Schritt zurück, richtig mit Schwung und sag: Voilà! Das ist zwar nicht das Wort, das ich eigentlich sagen wollte, aber das richtige, das die Torreros immer sagen ist mir nicht eingefallen. Gleich nachher hör ich hinter mir die Reifen quietschen und etwas scheppern, und schon wieder schreit jemand. Aber nicht die Frau Bettina, die steht nur da mit offenen Mund und schaut mich an.
Ich nehm meine Sackerln und geh lieber auf die andere Straßenseite, und in dem Moment weiß ich, dass ich zu der nie wieder zum Haarschneiden gehen brauch.