Tage am Küchentisch *3
Geschichten aus dem ersten Lockdown, erzählt im dritten.
Noch ein Tag
Der Spatz tschilpt nicht mehr. Ich sehe ihn draußen auf dem Zaun sitzen. Offensichtlich hat er Nistmaterial im Schnabel. Ich freue mich für ihn. Hat er sich also eine gefunden, wenn er sein Haus einrichtet. Ich will recherchieren, wie es weitergeht. Wann es die ersten Küken geben wird. Dann lese ich, dass Single-Spatzen oft nur so tun, als würden sie Nest bauen. Um den Nistplatz noch attraktiver zu machen.
Da sitzt er, den Schnabel voller Halme. Dann tschilpt er. Alles fällt zu Boden.
„Er ist einfach zu doof, um sich zu fortzupflanzen.“
„Mit wem sprichst du“, sagt meine Mutter.
„Mit dem Spatz“, sage ich.
„Aha,“ sagt sie.
Noch ein Tag
Ich sitze in der Küche am Tisch, den Laptop vor mir, meine Mutter neben mir. Sie blättert in der Tageszeitung.
Seit Wochen gibt es kein anderes Thema. Jede Zeitung wirkt wie eine Corona-Sonderausgabe. Meine Mutter betrachtet eine Bastelanleitung für Kinder: Osterhasen aus Klopapierrollen. Dann einen Psycho-Test: Welcher Corona-Typ sind Sie?
„Darf ich kurz?“, sage ich und nehme mir die Zeitung. Ich will wissen, welcher Corona-Typ ich bin.
Wie stehen Sie zu der Bedrohung durch Covid 19?, steht unter der Headline.
„Ach so“, sage ich halblaut. Ich hätte lieber gewusst, ob ich im Fall einer Infektion einen schweren Verlauf zu befürchten habe. Ich mache den Test trotzdem. Ich bin der „Noch ist es nicht zu spät“-Typ.
„Danke“, sage ich und gebe die Zeitung zurück. Meine Mutter will den Test nicht machen.
Ich starre meine leere Kaffeetasse an. Und höre den Spatz schreien.
Mila kommt in die Küche und schaltet das Backrohr ein. Sie summt vor sich hin, diesmal besonders inbrünstig, so scheint mir. Das Rohr gibt den Background-Chor. Draußen lärmt der Spatz. Ich tippe die Tasse mit dem Finger an. Im Takt des Spatzengeschreis. Tipp. Tipp. Tipp.
Dann öffne ich das Fenster und werfe die Tasse nach ihm. Ich treffe nicht, er flüchtet.
Die Tasse landet auf der Wiese des Nachbarn.
Ich schnaufe ein paar Mal und schließe das Fenster.
Mila starrt mich sicher an, ich will gar nicht hinschauen.
Aber sie gibt nur ein verwundertes, sehr slawisch klingendes „No?“ von sich und geht dann summend aus der Küche.
Meine Mutter schaut mich an. „War das ein Gmundner Gschirr?“
„Nein. So ein Heferl mit Hendln“, sage ich und überlege, wie ich dem Nachbarn die Tasse in seinem Garten erklären soll.
„Hols gleich oder gar nicht“, sagt meine Mutter.
„Morgen ist auch noch ein Tag“, sage ich.
„Apropos Tag“, sagt sie und greift nach ihrem Zettel.
„Dienstag“, sage ich.
08.04.2021
Stichwort: Blog, Küchentischtage, Land, Texte